Mamma mia!

Ehret die Frauen! sie flechten und weben
Himmlische Rosen ins irdische Leben.
(Friedrich von Schiller: Würde der Frauen)

Dreimal, verehrte Leser und -innen, wollen wir heute anheben mit: „Aus gegebenem Anlass.“ – Also:

Aus gegebenem Anlass:
Zum 100. Mal jährt sich heuer nicht nur der Beginn des I. Weltkriegs, sondern auch die „offizielle“ Durchsetzung des Muttertags. Am 8. Mai 1914 erließ der US-Kongress die Joint Resolution Designating the Second Sunday in May as Mother’s Day: Der Muttertag 1914 wurde zum ersten Mal als nationaler Feiertag begangen; damit einher ging die Beflaggung der öffentlichen Gebäude im Auftrag Präsident Woodrow Wilsons himself. Schon ab Mitte der 1860er-Jahre hatte es in den USA, vor allem auf Betreiben evangelikaler Kreise, im Besonderen der Methodistin Ann Maria Reeves Jarvis und ihrer Tochter Anna Marie Jarvis, Bestrebungen gegeben, einen Tag für die Mütter einzuführen. Allerdings nicht als Konsum-, Schenk- und Ausflugszwangorgie, sondern als Gelegenheit, dass sich Mütter freundschaftlich trafen, sich austauschen konnten und ihnen auch gedankt wurde. Bald kam auch das Motto „peace and motherhood“ – Frieden und Mutterschaft – dazu; was vor allem darauf abzielte, die Söhne nicht auf den Schlachtfeldern zu opfern.

In der Schweiz, so belehrt uns Prof. Wikipedia, wurde der Muttertag ebenfalls auf Initiative kirchlicher Organisationen, besonders der Heilsarmee, propagiert, konnte sich aber erst etablieren, nachdem die Verbände der Floristen, Gärtnermeister und Konditoren sich dafür stark machten. Die Herrschaften waren also schon damals überaus geschäftstüchtig und konnten so neben dem Valentinstag einen zweiten künstlichen Feiertag schaffen, der auf das schlechte Gewissen von Kindern und Gatten abzielt, was sich offenbar nur durch Blumen und/oder Torten kompensieren lässt. – Ähnlich die Entwicklung in Deutschland, wo der Verband der Blumengeschäftsinhaber zu Beginn der 1920er-Jahre eine entsprechende Plakataktion mit dem Slogan „Ehret die Mütter“ lancierte. Was sich ja zu lohnen scheint: Wie nachzulesen, werden die Muttertagsumsätze – im Schnitt 139 US-$ je beschenkter Mutter – in den USA nur durch Weihnachten übertroffen. Und in Deutschland hat der Muttertag sogar im Blumenhandel den Valentinstag überholt; in der Muttertagswoche werden um 130 Millionen Euro Schnittblumen verkauft. Wobei den Floristen nun eindeutig Gefahr seitens der Social Media droht: Blumen lassen sich noch bequemer als per Fleurop längst via Twitter oder SMS versenden: @–)-)–
(Auf allfällige Pervertierungen, etwa als die Nazis in gottesdienstähnlichen „Mütterweihen“ den Frauen für ihren zahlreichen arischen Nachwuchs das Ehrenkreuz der Deutschen Mutter – im Volksmund wurde dieses Mutterkreuz „Kaninchenorden“ [vgl. „profil“ Nr. 20, 12. Mai 2014, SS. 76, 80] genannt –  verliehen, sei hier nicht näher eingegangen.)

So sind die Frauen nicht nur zur wichtigen Umsatzsäule der Konditoren geworden. Nein, wir können auch sicher davon ausgehen, dass sie es waren, die die Bereitung von Backwaren überhaupt „erfanden“ und kultivierten. Die Fermentation, wie sie etwa mittels Säurebakterien und Hefen für die Lockerung des Teiges sorgt, doch auch bei der Herstellung von Wein, Bier oder Käse notwendig ist, gehört zu den Urerfahrungen der Menschheit und wurde – wohl an mehreren Orten unabhängig – entdeckt, weil die Zeit dafür einfach reif war, als sich im Zuge der neolithischen Revolution aus nomadisierenden Wildbeutern, Jägern und Sammlern langsam festansässige Bauerngesellschaften entwickelten. So schreiben denn auch Gottfried Spicher und Hans Stephan unter Bezug auf M. Rohrlich¹:
„… ist es keinesfalls einem Zufall zuzuschreiben, dass die vorgeschichtliche Hausfrau die Bedeutung der Säuerung ihres Mehlbreis, des Mehlteiges, erkannt hat. Vielmehr darf man annehmen, dass sie, die die Säuerungstechnik, z.B. bei der Zubereitung von Kohl und Rüben gekannt hat, nach Wegen suchte, um den Brei aus dem von ihr zerstampften Korn verzehrbar und schließlich auch im Feuer haltbar zu machen.“

Wir können also davon ausgehen, dass man – dank der Frauen – spätestens „seit der späten Bronzezeit Sauerteigbrot aus ausgemahlenem und kleiefreiem Getreide backen konnte“². Im Laufe der Zeit wurden die Techniken stets verfeinert. Doch es lässt sich seit urgeschichtlicher Zeit bis weit ins 20. Jahrhundert hinein beobachten, dass es stets die Frauen waren, die (am häuslichen Herd) Brot buken; solange bis sich in der jeweiligen Kultur die arbeitsteilige Gesellschaft vollends durchsetzte und aus dem Brotbacken ein Gewerbe entstand, das nur in Ausnahmefällen, etwa wenn der Meister verstorben war, von Frauen ausgeübt werden konnte. Wenngleich eine erste Arbeitsteilung schon mit der Sesshaftwerdung einherging: Das Geschäft der Männer waren wohl Jagd und Kämpfe, die Frauen hatten sich um die umliegenden Felder, den Haushalt – samt Kochen und Backen – und die Kinder zu kümmern. Und diese Unterschiede in der Rangordnung dürften auch in der Verpflegung ihren Ausdruck gefunden haben: Das Fleisch war eher den Männern zugedacht, und die besten Stücke erhielten diejenigen, die sich als Führungspersönlichkeiten hervortaten, etwa weil sie auf der Jagd besonders erfolgreich oder im Kampf besonders tapfer waren. Der Historiker und Volkskundler Gunther Hirschfelder dazu³:
„Das muss nicht unbedingt das Filet gewesen sein – denkbar sind auch solche Stücke, von denen man sich eine Übertragung besonderer Fähigkeiten erhoffte. Das könnte beispielsweise das Hirn gewesen sein; so gilt in der traditionellen chinesischen Küche das zuckende Hirn gerade erst geköpfter Affen als Delikatesse, von deren Konsum man sich ein zusätzliches Maß an Klugheit erhofft. Wahrscheinlicher ist aber der Verzehr des Herzens und vor allem der Hoden symbolträchtiger Tiere, etwa des Bären.“

Aus gegebenem Anlass:
Zwei Wochen vor den EU-Wahlen nimmt der Wahlkampf langsam Fahrt auf. Was scheint’s alle österreichischen Parteien eint, ist das mittlerweile ziemlich plan- und hilflose Eindreschen auf die junge Gruppierung „Neos“, die bei den österreichischen Nationalratswahlen im vergangenen Herbst aus dem Stand ein beachtenswertes Ergebnis erzielte, und der Wahlprognosen mittlerweile zutrauen, die etablierten Grünen (das sind die mit der spaßfreien „Bundeserziehungsberechtigten“) zu überholen. – Dies ist seit dem II. Weltkrieg erst der zweite Versuch, der erste scheiterte einigermaßen kläglich, in Österreich eine klassische liberale Partei zu etablieren. Selbst der in der Wolle gefärbte Altlinke Georg Hoffmann-Ostenhof fühlte sich nun bemüßigt, die Neos in Schutz zu nehmen („profil“ Nr. 20, 12. Mai 2014, S. 69):
„… Und die Grünen ertragen es offenbar nicht, dass eine Kraft, die in Fragen der Migration, des Asyls und der Minderheiten, kaum anders denkt als sie, gleichzeitig aber vieles von dem vertritt, was auf grüner Seite als neoliberales Teufelszeug verdammt wird.“
Die Neos-Listenführerin ist die EU-(Bürokratie-)erfahrene Juristin, Angehörige der slowenischen Volksgruppe, Angelika Mlinar. Sie sei, wird immer wieder ohne nähere Angaben kolportiert, auch selbst Unternehmerin. Der Verfasser bemühte sich nun, herauszufinden, was sie denn unternehme, und siehe da, zu seiner köstlichen Überraschung stellte sich heraus, Frau Dr. Mlinar betreibt in der slowenischen Hauptstadt Laibach/Ljubljana eine Keksfabrik: Angelski keksi. (Zum Drüberstreuen: Das slowenische mlínar bedeutet auf deutsch Müller.)

Aus gegebenem Anlass:
Österreich ist im Eurovisions-Songcontest-Sieger-Taumel. 48 Jahre nach Udo Jürgens’ „Merci chérie“  (damals nur gegen 14) siegte nun fulminant die Kunstfigur Conchita Wurst, bürgerlich Tom Neuwirth, mit dem Song „Rise like a phoenix“. Ich kann der Backbranche nur dringend raten, Conchita möglichst rasch als Testimonial unter Vertrag zu nehmen. Slogan taxfrei: „Keine Wurst ohne Semmel!“
Wie’s geht? So: Conchita Wurst.


¹ Spicher/Stephan, Handbuch Sauerteig, Hamburg, 1982, S. 14.

² Hirschfelder, Gunther, Europäische Esskultur, Geschichte der Ernährung von der Steinzeit bis heute, Frankfurt a. M., 2005, S. 35.

³ Ebenda.

Sag mir, wo die Rosen sind

Jetzt stellen Sie sich bitte ein Reibeisen vor: keines mit allzu grober Riffelung. Eher eines, mit dem man Parmesan oder Grana liebevoll über seine Pasta hobelt. Und dazu den sonoren, fast rezitativen Singsang des wunderbaren Chansonniers, Monsieur 100.000-Volt,
Gilbert Becaud: „L’important c’est la rose!“¹ (Etwa: „Was wirklich zählt, ist die Rose; glaube mir.“ Becaud sang das Lied auch auf Deutsch, wobei wohl Intention und Stimmung des Textes vom französischen Original etwas verschieden sind: „Überall blühen Rosen.“)

Und wenn ein französischer Chansonnier auf die Wichtigkeit der Rosen verweist, möchte ich in aller Deutlichkeit monieren, dass mir die italienischen Röslein fehlen: Die Rosetta, was wohl soviel heißen soll, wie Rosensemmel, Rosenbrötchen, gibt es nicht mehr! Zumindest nicht nach meinem Empfinden und meiner Erfahrung. – Egal was, wann und wo Sie in Rom aßen, ein feines Diner im Restaurant oder ein Spanferkelbrötchen (porchetta) vom Imbissstand, ohne Rosetta, die römische Rosensemmel ging nichts!

Schon Plinius der Ältere (* 23 oder 24 n. Chr. in Novum Comum, heute Como; † 25. August 79 in Stabiae am Golf von Neapel anlässlich des katastrophalen Ausbruchs des Vesuv, den sein Neffe, Plinius d. J., so plastisch beschrieb) berichtete in seiner 37bändigen „Naturgeschichte“ (XVIII, 105) von solchen Gebäcken, die nur „friedfertige Leute, die viel Zeit haben“ bereiten, weil im Krieg nicht daran zu denken sei. – Damit nimmt er wohl Bezug auf die Gepflogenheiten der römischen Legionäre, die ja ihre Verpflegung u.a. in Form einer täglichen Getreideration von rund 800 Gramm erhielten, die sie selbst vermahlen und verbacken mussten: In Friedenszeiten nahmen sie sich dafür wohl mehr Zeit, konnten feinere, hellere Mehle ermahlen; im Felde musste es schneller gehen, das Getreide wurde nur grob geschrotet, oftmals gar nicht zu Brot verbacken, sondern bloß als Brei bereitet. In der altrömischen Küche war die Butter, die Plinius „cibum lautissimum barbarorum“, die höchst feine (wohl auch im Sinne von nahrhafte) Kost der Ausländer (Fremden), nannte, mehr oder weniger unbekannt; schon gar die Verwendung von Schweineschmalz, wie es in eine richtige Rosetta gehört.

Also: niemals ohne Rosetta! Da konnten die unvermeidlichen Grissini fehlen oder die vom Wecken (filone) heruntergeschnittenen Brotscheiben, aber eine Rosetta musste bei jeder Mahlzeit, bei jedem Gedeck (das üblicherweise zum sehr mäßigen Preis jedem Gast verrechnete coperto beinhaltet jedenfalls neben einer [Stoff-]Serviette auch ein Brotkörbchen, das stets auf Neue aufgefüllt wird) dabei sein! Unaufhörlich wuselte unser kurzgewachsener Guido, der stets ein (tomatenfleckiges) Tischtuch, das ihm bis zu den Zehenspitzen reichte, als Schürze in den Hosenbund gesteckt hatte, und den man mit seinen Glutaugen und seinem rappelschwarzen Wuschelkopf jederzeit als garibaldischen carbonaro oder wenigstens als verwegenen Abruzzenräuber durchgehen lassen hätte können, in seiner herzlichen, gütigen Art über die Straße und holte beim Bäcker frische Rosette, wenn wir sie wieder einmal lustvoll aufgegessen hatten. O wie herrlich waren diese Semmeln mit dem charakteristischen Stern an der krossen Oberseite und dem noch charakteristischeren Loch in der Mitte. Ja, die Rosette waren, wohl ob des jungen, frischen Teiges, inwendig ziemlich hohl, was gewitzten Essern natürlich unzählige Möglichkeiten bot: man konnte Thunfisch, Oliven, Käse, das bereits erwähnte rosmaringewürzte Spanferkel, Salami, Mortadella, Pancetta und dergleichen problemlos hineinstopfen und hatte so einen perfekten Snack, ein herrliches gefülltes Weckerl, ohne das abscheuliche Grünzeug. – Und der Hohlraum, so verriet mir dereinst eine schöne Römerin, war für die Seele des Bäckers. Sie scheinen sie mittlerweile allesamt an den Teufel verkauft zu haben.

Als ich unlängst bei Francesco, dem langjährigen Frühstücksimpresario meines römischen Stammhotels, mein Herz ausschüttete, dass es keine Rosetta mehr gebe, schaute er mich treuherzig an, schwang sich eilfertig zu Dienstschluss am frühen Nachmittag auf seine Vespa, stülpte seinen Helm über, fuhr quer durch die Stadt, besorgte Rosetta. Sorgfältig verwahrte er sie über Nacht in einem Plastikbeutel. Man kann sich vorstellen, welch letschiger, zäher Beschaffenheit sie waren, als er mir sie am nächsten Tag lobheischend voll Stolz servierte … Heute gibt es zum Frühstück viel Süßes (cornetto [oder brioche: Hörnchen, Gipfel, Croissant, gefüllt oder ungefüllt; manchmal, sehr selten, sogar gut], Kuchen, Kekse …) ansonsten und zum Mittag- bzw. Abendessen meist nur die Scheiben vom filone, vielleicht irgendwelche (regionaltypischen) Ölbrötchen und immer öfter gebäckartig anmutende, nicht weiter zu definierende oder beschreibende vollwollige ess- doch nur bedingt genießbare Lebensmittel, die die stolzen und esslustigen Italiener „Baguette“ nennen. – Über die unsägliche Südtiroler Abart der Esskulturverhunzung, wo praktisch in jedem Lokal (oft zähe) Kaisersemmeln, die manchmal mehr an Milchbrötchen erinnern, längs in Scheiben geschnitten ins Körberl geschupft werden, wurde hierorts bereits ausführlich lamentiert.

Auch in Norditalien, vornehmlich in der Lombardei (manchmal auch im angrenzenden schweizerischen Tessin) und im Veneto, sind – besser gesagt: waren – die Rosette alltäglicher wie selbstverständlicher Teil jeglicher Verpflegung. Hier hießen sie meist michetta, abgeleitet wohl von lateinisch mica, was (Brot-)Krümel (auch Salzkorn oder Speisezimmerchen) bedeutet.

Zwei Legenden berichten von deren Entstehung:
Als die Österreicher weiland in der Lombardei herrschten, brachten sie 1713 auch ihre
Kaisersemmel mit. Aufgrund des humiden Mailänder Klimas nahm die Brotkrume jedoch übermäßig Feuchtigkeit auf, was die Semmeln regelmäßig vorschnell zäh werden ließ. Nun sannen die örtlichen Bäcker auf Abhilfe und kreierten ein Gebäck mit möglichst wenig Krume, dafür umso mehr rescher Kruste. Ecco! Die Michetta ward geboren.
Die zweite Geschichte rankt sich um das ligurische Dolceacqua (wo nicht nur, wie der Name sagt, das Wasser, sondern auch die Michette süß sind) des 14. Jahrhunderts: Der dortige Graf habe stur auf seinem jus primae noctis, also dem Vorrecht der ersten Nacht, die frisch angetraute Braut zu entjungfern, bestanden. Lucrezia habe sich dem Despoten verweigert, worauf er sie ins Verlies werfen ließ, wo sie schließlich verhungerte. Das habe die Bevölkerung so in Rage gebracht, dass sie revoltierte und letztlich den Grafen zwang, auf sein angemaßtes Recht zu verzichten. In Anerkennung der neugewonnen Freiheit buken einige Frauen am nächsten Tag ein süßes, rosenförmiges Gebäck; eine Metapher für die Liebe, aber auch für die weiblichen Genitalien.

In Florenz übrigens, so entnehme ich dem italienischen „Atlas der typischen Gebäcke“², heißt die Rosetta/Michetta semelle. Womit sich wieder ein Kreis schließt: Der Name für unsere Semmel leitet sich direkt vom römischen simila her, dem allerfeinsten Weizenmehl, das höchsten Ansprüchen genügen musste.

Gilbert Becaud: „Alles Schöne, was wir lieben, muss vergehn …“

Und wer’s nicht so sehr mit Chansons hat, dem sei Händels wunderbare Arie „Lascia la
spina, cogli la rosa“ – etwa in der herrlichen Interpretation von Cecilia Bartoli³ – wärmstens ans Herz gelegt: „Lass doch die Dornen und pflücke die Rose!“


¹ Original: http://www.youtube.com/watch?v=KamOG_hQPEI.
Französisch/Deutsch: http://www.laut.de/Gilbert-Becaud/Songs/Uberall-Bluehen-Rosen-457278.
Deutsch (Coverversion): http://www.whosdatedwho.com/tpx_104737/gilbert-becaud/tpx_8181964.

² Istituto Nazionale di Sociologia Rurale, Il Pane, Atlante dei prodotti tipici, 2. Aufl., Rom, 2000; SS. 72, 128.

³ Im Internet gibt es unzählige Versionen, besonders berührend z.B.:
http://www.youtube.com/watch?v=nw5boUN7Itc.

Zum Speiben

Manchmal, da zieht es mich einfach nach Verona. Nicht unbedingt auf die Piazza Bra mit der Arena, zur Porta Borsari, auf die Piazza delle Erbe, Piazza dei Signori, zu den Skaliger Gräbern; schon gar nicht zu „Julias Haus“. Eher in den Schatten der großteils noch romanischen, wunderbaren Basilika San Zeno, die dem Veroneser Stadtpatron geweiht ist, in ihren Ursprüngen wohl schon im 4. Jahrhundert entstand und von Pippin, dem Sohn Karls des Großen, entscheidend gefördert wurde. Bewacht von den beiden apotropäischen Löwen, die das Eingangsportal schützen und stützen und nicht selten von Kindern als Reittiere gebraucht werden, lasse ich mich auf dem Platz vor dem „Al Calmiere“ nieder. – Oder, wenn’s mir noch mehr aufs Essen denn auf das himmlische Ambiente ankommt bzw. ich mir’s einfach nicht antun möchte, in die Stadt zu fahren, in die peripheren, vielleicht noch authentischeren „Ca’ de l’Ebreo“ (wörtlich: „Haus des Juden“, im Norden) respektive – mein absoluter Favorit! – „Cavour“ (Dossobuono, im Süden).
Nein, da brauch ich keine Speisekarte! Schon 316 Kilometer lang freue ich mich auf einfache, wohlschmeckende Speisen: Zuerst eine „Pasta ai tre (quattro) sughi“. Hausgemachte Bandnudeln (Tagliatelle) werden mit einer Butterflocke und, je nach Haus, drei, vier
Saucen serviert; Ragù ([Kalbs-] Hackfleisch), Hühnerlebern, Tomatensauce, Erbsen. Und dann das „Bollito misto“, das Gemischte Gesottene, das vom Wagen serviert und vor Ort nach den individuellen Gelüsten des Gastes zusammengestellt wird: Huhn, Kalb, Rind, Truthahn, Schweinswurst (Cotechino), (gefüllte) Schweinshaxen (Zampone), Zunge, Kalbskopf … Dazu werden die drei klassischen Saucen gereicht, die „Salsa verde“ (grüne Sauce, ähnlich in Frankfurt), die „Pearà“ (Dialekt des Veneto; eigentlich „pepata“, also die „gepfefferte“, deren Hauptbestandteil Brotbrösel sind, dazu Knochenmark, Rindssuppe und eben reichlich Pfeffer) und Kren (Meerrettich); nicht zu vergessen, die „Mostarda“, die eingelegten, kandierten Senffrüchte.

Mindestens ebenso gern fahre ich in die andere Richtung, nach Bayern. Allein um der allerorts noch andächtig zelebrierten Brotzeit willen. Ja schon der Name adelt und hebt sie empor gegenüber anderen regional üblichen Bezeichnungen, wie etwa Ves(ch)per im Schwäbischen, Neinerlen (von neun Uhr) und Marend(e) im Tirolerischen, entsprechend z’ Nüni und z’ Vieri (wörtlich um neun bzw. um vier Uhr) in der Schweiz, oder Gabelfrühstück¹ und Jause in Ost- und Südösterreich. Brot ist der zentrale, namengebende, ja die ganze Mahlzeit begründende Bestandteil! Selbstredend gehören in Bayern kesselfrische Weißwürste, die genüsslich gezuzelt werden, der „Obatzde“ (gewürzte Käse-Buttermischung), der „Radi“ (Rettich) dazu, Schweinsbraten, Presssack, Grieben-/Grammelschmalz, Leberkäse … Und selbstverständlich darf das frische Brot auch in Form einer Brez’n gereicht werden!

Und wenn sich schon eine körperliche Reise nicht ausgeht, dann wenigstens eine ideelle, virtuelle: Man zieht sich samstagabends genüsslich einen boarischen Krimi rein, diesfalls den „Dampfnudelblues“ mit Sebastian Bezzel²: sympathisch erd- und menschenverbunden, viel Lokalkolorit ohne die also doch nicht ganz so unvermeidlichen Alpinklischees mit glühenden Bergspitzen, schmachtvollen Sonnenuntergängen und dirndlumspannten aus- und einladenden Busen; nicht alles heile Welt und Happy-Pepi.

Vollends unheil allerdings wird die niederbayrische Welt angesichts zweier, dreier Filmszenen: Der lässige zum Dorfgendarmen degradierte Agrocop, frönt seiner Leidenschaft und genießt Leberkässemmeln (wie weiland der Schäferhund die Wurstsemmeln bei „Kommissar Rex“) – drei Stück müssen’s sein und in der Schreibtischlade liegen anstatt der Stifte feinsäuberlich aufgereiht die Senftuben – einmal beim Metzger, einmal im Büro. Und beim Imbissstand gibt’s eine deftige Brotzeit. Aber jedes Mal werden dazu die hinterletzten Semmeln, die man sich in seinen abscheulichsten Träumen nicht vorstellen möchte, kredenzt: schrumpelig, blass, gummihaft, vielfältig im urtümlichsten Wortsinn, mit Setzfalten und Dellen … man hat den Eindruck, wenn man sie zusammendrückte, würden sie binnen Kurzem wieder ihre grausliche Schaumgummiform annehmen. – Wenn man sich dereinst die Backwaren aus dem 3-D-Drucker liefern lässt, können sie nicht viel schlechter sein.
Und man hat den Eindruck, der Requisiteur sei zwar detail- und kenntnisreich imstande, den gezeigten Sado-Masokeller auszustatten, habe jedoch nicht die geringste Ahnung und/ oder Lust, sich um eine ordentliche Brotzeit zu kümmern: irgendwie vergessen, Semmeln zu besorgen und dann im letzten Augenblick beim schwindligsten Diskonter die schwindligsten und billigsten Brötchen, die schon stundenlang in der Theke schmachten und halt grad noch übrig waren, geholt. – Gerade in Bayern mit seinen noch weitgehend intakten dörflichen Strukturen, mit einer noch relativ hohen „Bäckerdichte“ und mit einem passend ordentlichen Kultur- und Selbstverständnis – just vor ein paar Wochen verkündete man genugtuungsvoll, es sei „nach sechsjährigem Kampf“ gelungen, die bayrische Brezen als geschützte geografische Herkunftsangabe EU-weit eintragen zu lassen, womit sie nur noch in Bayern erzeugt werden dürfe – vollkommen unverständlich.
Oder ist das am End verstecktes Product-Placement, gesponsert von einem transatlantischen Fast-Food-Konzern, dem, so stand es jüngst zu lesen, stetig die Umsätze wegbrechen?
Wenn man in den diversen Filmabspännen so liest, wofür alles Spezialberater und -experten engagiert werden, wäre glatt zu überlegen, ob die Innungen nicht offiziell beauftragte Medien-Gebäckberater ausbilden und installieren sollten. Eine identitätsstiftende Aufgabe möglicherweise. (Anfragen an den Verfasser jederzeit willkommen!)

Weil so, und das ist dem Branchenimage überaus abträglich, sind die gezeigten Semmeln einfach zum Speiben. – Das ist die bayerisch-österreichische Form von Kotzen!


¹ Es sei nochmals auf Josef Weinhebers „Phäaken“ verwiesen: Blogeintrag vom 1.1.2014.

² Bayrischer Rundfunk, Samstag, 26.4.14, 20:15 Uhr.

Osterspaziergang

Vor dem Tor

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlts im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen!
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden:
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß in Breit und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!

(Johann Wolfgang von Goethe, Faust I)


Bitte lesen Sie auch nach: „Glaubt ans Christkind“, 23.12.13

Zum Kotzen

Als ich vor ein paar Wochen mit einem der wohl fünf wichtigsten Banker Österreichs hoch über den Dächern Wiens zu Mittag aß, war es eine nebenbei im drumherumgestrickten Smalltalk fallengelassene Bemerkung des besagten Herrn, die mich gleich erschütterte und seither umtreibt und nicht mehr zur Ruhe kommen lässt. En passant erwähnte er,
seine Bank sei seit einiger Zeit davon abgerückt, die Mitarbeiter aus dem Pool der Handelsschul- und Handelsakademieabgänger¹ zur rekrutieren. Vielmehr würden fast ausnahmslos Lehrlinge aufgenommen. Sie durchlaufen im bewährten dualen Ausbildungssystem die reguläre Lehre samt Berufsschulbesuch zum Bankkaufmann, gleichzeitig das bankinterne, mehrstufige Ausbildungsprogramm und eine Mittelschulausbildung. Der Banker: „Mit 18 Jahren haben unsere Mitarbeiter eine abgeschlossene Lehre, unsere eigene modulare Ausbildung und die staatliche Matura.“

Mit Zorn und Gram erfüllt es mich, wenn wir das mitnichten in der Backbranche (da sind durchaus auch die Konditoren mitgemeint), ja weder im Lebensmittelgewerbe, noch im Handel oder in der Gastronomie/Hotellerie zuwege bringen. All die frommen Sprüche seitens der Wirtschaftskammer oder einschlägiger Ministerien und sonstiger sich berufen Fühlender von wegen „Karriere mit Lehre“, „Lehre mit Matura“ usw. verpuffen seit Jahrzehnten im Nirwana der Selbsttäuschung und Beschwichtigung; wohl mehr der eigenen als der anderer.

Da wird zwar mit geschwollener Hühnerbrust herumgetönt, man habe die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit von überhaupt, tut aber scheint’s alles, diesen Status zu unterminieren. Wie sonst soll man ein bildungsministerielles Arbeitspapier verstehen, das mit knappsten Fristen fast hinterrücks den Vertretern der Wirtschaft zur „Begutachtung“ übermittelt wurde? Darin wird in einem „Rahmenlehrplan“ bzw. im „Kompetenzraster Fachunterricht“ reichlich verschroben festgeschrieben, künftige Bäckerlehrlinge sollten u.a. „die Entwicklung des Bäckergewerbes recherchieren und präsentieren sowie die Branchen- und Marktstellung mit dem Angebot eines Betriebes darlegen“. Es geht noch besser: „… können nach Ermittlung des Warenbedarfs Qualitäts- und Preisvergleiche recherchieren, den Warenfluss von der Auswahl der Lieferantinnen und Lieferanten bis zur Übernahme des Produktes durch die Kundinnen und Kunden erarbeiten und erklären.“ Oder: „… können nach den Richtlinien des HACCP bzw. dem Lebensmittel- und Verbraucherschutzgesetz anhand von Backwaren Gefahren analysieren, die kritischen Kontrollpunkte auf allen Prozessstufen festlegen und begründen, sowie die nötigen Checklisten erstellen und führen.“ Weiters: „… können Rezepte auf die Bestimmungen des Codex alimentarius Austriacus überprüfen und gegebenenfalls korrigieren; können den Energiebedarf sowie den Nährwert mit Hilfe einer Nährwerttabelle computergestützt berechnen und erklären.“ Noch ist nicht genug: „… können für die Verpackung von Backwaren die richtigen Verpackungsmaterialien auswählen, die Auswahl begründen, Produkte fachgerecht deklarieren und unter Berücksichtigung der werbetechnischen Grundsätze eine Produktpräsentation entwickeln.“ Dazu solle u.a. folgender Lehrstoff vermittelt werden: „Berufseinschlägige Sicherheitsbestimmungen und -vorschriften. Hygienestandards. Zöliakie. Laktoseintoleranz. Diabetes.  Bluthochdruck. Codex alimentarius Austriacus. Energiebedarf- und Nährwertberechnungen. Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz. Europäisches Lebensmittelrecht. Verdauungsorgane. Stoffwechsel. Biologische, chemische und physikalische Prozesse.“

Dem Verfasser, der sich seit vielen, vielen Jahren in der Backszene auch weit über Europa hinaus herumtreibt, ist kein einziger solcher Fachmann bekannt, der gleichermaßen Lebensmitteltechnologe, Lebensmittelrechter, Qualitätsbeauftragter, Marketing-, Verkaufs- und Werbemensch, Ernährungswissenschaftler, Diätologe, Arzt, Verpackungsspezialist und was weiß ich noch alles wäre. Darf’s wenigstens noch ein bissl Bäcker sein? – Dass dann noch 80 Stunden „Deutsch und berufsbezogene Kommunikation“ (das ist wohl der alte „Schriftverkehr“?), jedoch 100 Stunden „Berufsbezogene Fremdsprache“ drinstehen, rundet das Bild nur ab.
Vohr zwei Monad wussde ich noch nicht, wie mann Indscheniör schreipt; und häude binn ich eineß.
Wer in drei Teufels Namen schwingt sich da auf, solche Rahmenlehrpläne zu verbrechen?

Dazu zwei Beispiele aus der jüngsten Praxis:

1. Ein einigermaßen verzweifelter Bäcker, der seit Jahren mit Überzeugung Lehrlinge ausbildet und nun die Stellen für das kommende Ausbildungsjahr besetzen möchte, schrieb vergangene Woche wörtlich:
„… Als er mir vorgestellt wurde, unterzog ich ihn gleich der altbekannten Prüfungsfrage ‚3 x 17‘. Er blickte mich etwas verdutzt an und meinte nachdem unser Produktionsleiter und ich ihm in Summe unsere 20 Finger zur Verfügung stellten, er bräuchte einen Zettel und einen Bleistift. Nun schrieb ich ihm die Zahlen auf und sagte ihm, damit er sich leichter tue, schreibe ich einmal  ‚3 x 17‘ und einmal ‚17 x 3‘ auf. Er kam nach dreiminütigem Multiplizieren – ich habe ihm aber, um ihn nicht zu verwirren, nicht gesagt, dass diese Rechenart Multiplizieren heißt – zum Ergebnis 40!!! Daraufhin meinten wir, er solle sich noch ein bisschen annähern, worauf er uns die Zahl 57 nannte. Wir erklärten dann, der Bursche solle sich doch die Übung für zu Hause aufheben und uns am Donnerstag das Ergebnis liefern.“

2. Das Mitglied einer Abschlussprüfungskommission; ebenso wörtlich, diesfalls mündlich:
„Wir haben schon lange aufgehört, den Kandidaten im sogenannten ‚Fachgespräch‘ gezielte Fragen zu stellen. Unsere erste Frage lautet immer: ‚Was können Sie besonders gut, worüber möchten Sie uns was sagen?‘ In den allermeisten Fällen kriegen wir darauf keine Antwort. Dann sagen wir halt, ‚Erzählen Sie uns bitte, was Sie gestern im Betrieb getan haben‘ und hoffen, daraus so etwas wie ein Gespräch zu entwickeln.“

Anscheinend hat es dazu mittlerweile eine Besprechung im Ministerium gegeben, die allerdings wohl mehr ein Abstecken der Claims und Darlegen der Argumente war; von Ergebnissen ist derweil nichts bekannt.
Es wäre jedenfalls fatal, würde den Lehrbetrieben endgültig die Lust am Ausbilden vergällt! Oder ist das gar die eigentliche Absicht, damit endlich der uralte Sozitraum in Erfüllung geht, die Berufsausbildung in zentralen Ausbildungsstätten abzuwickeln; auf dass die jungen Leute stets kontrolliert und rechtzeitig indoktriniert würden? Immer wieder wurde politikerseits ja eine „Ausbildungsgarantie“ für junge Menschen abgegeben.

Ich hoffe sehr, dass nicht alle Bäcker schon resigniert haben. Warum nicht, wie erfolgreicherweise SPAR oder McDonald’s, den umgekehrten Weg gehen und selbst Berufsschulen einrichten, mit eigenen Lehrplänen, exakt abgestimmt auf die tatsächlichen Notwendigkeiten? – Wer jetzt meint, still sein zu sollen, müde sein zu wollen, macht sich schuldig!

Hier sei ein unverdächtiger Zeuge zitiert: Dr. Helmut Zilk (1927 – 2008), Sozialdemokrat, Lehrer, scharfsinniger und -sichtiger Journalist, der mit mutigen Ideen und Konzepten zur Entpolitisierung und Neuausrichtung des österreichischen Rundfunks beitrug, visionärer und großherziger Ermöglicher als Wiener Kulturstadtrat, nachmalig jovialer Wiener Bürgermeister, im Rahmen der Briefbombenattentate schwerst verletzt, meinte anlässlich seiner Bestellung zum Unterrichtsminister, die Parteipolitik im Schulwesen sei „zum Kotzen“.

Ich will mich nun keineswegs hinter einem verblichenen Großen verschanzen. Und gebe höchstselbst zu Protokoll: Es ist zum Kotzen. Kübelweise.


¹ Für Nichtösterreicher: Die Handelsakademien (HAK) wurden Mitte des 19. Jh. in der damaligen Monarchie als berufsbildende höhere Schulen eingerichtet und bieten seither eine fundierte, fünfjährige kaufmännisch-betriebswirtschaftliche Ausbildung, die mit der Reifeprüfung (Matura, Abitur) abschließt und zum Universitätsstudium berechtigt. HAK-Absolventen, denen früher sogar der Titel „Volkswirt“ verliehen wurde, gelten als gesuchte, hochgeschätzte, überaus praxistaugliche Mitarbeiter, die oft in eindrücklichen Beispielen den Weg vom mittleren Management in höchste Führungsetagen fanden. Die Ausbildung und vor allem Qualifikation ist wohl jederzeit einem angelsächsischen College wenn nicht einem Bachelor vergleichbar.

Deep Throat

Wenn ich, wozu im Lauf so eines Lebens ja doch immer wieder Anlass, Gelegenheit, Notwendigkeit gegeben scheint, mich wieder einmal veranlasst sehe, die mentalitätsmäßigen Unterschiede zwischen Deutschen und Österreichern herauszuarbeiten und erklären zu versuchen, kann ich leider nicht mit der wortgewaltigen Schlagkraft und -fertigkeit Karl Kraus’ oder Karl Farkas’¹ aufwarten, wonach es die gemeinsame Sprache sei, die beide voneinander trenne. Wobei sich dieses Merkmal im RTL-Zeitalter zu meinem großen Leidwesen zunehmend vertschüsst.
Nicht imstande, eine kluge wissenschaftliche Abhandlung zu liefern, dennoch um eine möglichst anschauliche, plastische Differenzierung bemüht, habe ich mir zwei kurze, prägnante Geschichten zurechtgelegt, deren eine oder andere ich jeweils situationsbezogen auswähle:

1. Die drastisch-klare:
Mein Vater war im II. Weltkrieg als LKW-Fahrer (er hatte den ihm angebotenen Offizierslehrgang ausgeschlagen) in Finnland stationiert. Und er erzählte mir: „Wenn wir sonntags wieder einmal etwas Butter zum Frühstück bekamen, haben unsere deutschen Kameraden die zugemessene Ration sorgsam aufgeteilt und akribisch je ein Viertel auf die erhaltenen Brotscheiben geschmiert. Wir Österreicher aßen zuerst drei Scheiben trockenes Brot und all die Butter auf der letzten Scheibe.“

2. Die romantisch-klare:
Wenn Sie in ein österreichisches (= „Wiener“) Kaffeehaus gehen und auch nur einen Mokka bestellen, können Sie solange sitzen bleiben, nach Herzenslust Zeitung lesen, im Rahmen Ihres Rendezvous (auf neudeutsch heißt das ja Date, man wird gedatet – was wohl nicht umsonst im Passiv, der Leidensform, steht) endlos flirten und händchenhalten², Freunde treffen, mit ihnen disputieren, tarockieren, Schach, manchmal Billard, spielen, notfalls Revolutionen anzetteln, arbeiten (dazu muss man nicht Kaffeehausliterat³ sein), sinnieren, träumen oder einfach Leute schauen, solange Sie möchten. Peter Altenberg, der sich sogar seine Post ins „Café Central“ in der Herrengasse schicken ließ und auf seiner Visitenkarte nämliche Adresse angab: „Für mich ist es am schönsten im Kaffeehaus. Man ist nicht zu Haus und doch nicht an der frischen Luft.“ (Ein Spruch, den der spätere österreichische Langzeitbundeskanzler Bruno Kreisky, genannt „Der Sonnenkönig“, usurpierte und modifizierte: „Ich bin immer gern in Bayern, weil ich da nicht mehr in Österreich und noch nicht in Deutschland bin.“) Die mittlerweile 90jährige vielgepriesene und -ausgezeichnete Dichterfürstin Friederike Mayröcker, Lyrikerin und Dramatikerin, Lebensmensch von Ernst Jandl, schreibt zwar nicht im Kaffeehaus, weil sie dabei einsam sein müsse und zuweilen heule, aber sie verbringt viel Zeit im „Café Tirolerhof“ und empfängt ihre Besucher dort. Kein Ober, klassischerweise im Smoking, mag er noch so granteln – was angeblich ja auch arttypisch sei –, wird Sie je belästigen, allenfalls wird er nach einer geraumen Zeit fragen, ob er das selbstverständlich dazugereichte Glas Wasser gegen ein frisches austauschen darf.
Dazu eine kleine, selbsterlebte Anekdote: Höchst erbost fuhr mich einmal ein bundesdeutsches Best-Ager++-Ehepaar an, es sei doch eine Ungeheuerlichkeit, zum „Verlängerten“ ein Glas kaltes Wasser zu verabreichen! Wie, wenn nicht mit heißem Wasser, solle man ihn denn verlängern?

Es macht Charme, Wesen, ja nachgerade systemimmanente Daseinsberechtigung des Wiener Cafés, das sich rühmt, die internationale Kaffeehauskultur, etwa in  Prag, Zagreb, Verona, Triest oder Venedig, wesentlich beeinflusst zu haben, dass es neben körperlicher Labung auch geistige Nahrung bietet, vor allem aber unverbrüchliche Zufluchtsstätte ist; nicht nur für Dichter & Denker, Maler & Musiker, Schauspieler, Journalisten oder Architekten, sondern für jedermann. Das hat zu tun mit Freude, Heimkommen, aber auch Schutz, Geborgenheit und Trost. Und Gastfreundschaft. Wie wir wissen, ist die seit alters her in etlichen Kulturen, Religionen, Nationen, Regionen heilig. Vielerorts wurden und werden dem Gast als erstes Brot und Salz dargeboten. Besonders bei den nomadischen Wüstenvölkern und den daraus hervorgegangenen Religionen, Judentum, Christentum, Islam … war es unabdingbar, dem Gast sofort Wasser zu reichen, seinen Durst zu stillen und ihm die Füße zu waschen, wie etwa auch das arabische Sprichwort belegt: „Du kannst zur Not im Blick auf alles, worum du gebeten wirst, ‚Nein‘ sagen, nur nicht im Blick auf Wasser!“
Das pflegen auch west- und südeuropäische Lokale mit großer Selbstverständlichkeit. Und in jeder nordamerikanischen Frittenbude wird Ihnen, noch ehe Sie richtig sitzen, ein Krug mit Eiswasser auf den Tisch geknallt, my dear.

Und nun haben wir, maßgeblich angezettelt von Wiener Kaffeehaus-Häuptlingen, querfeldein die heiße Diskussion, das kalte Wasser nicht mehr gratis (das Wort stammt aus dem Lateinischen [gratia, Dank] und bedeutet „um den bloßen Dank; nicht für Geld“) zu verabreichen. – Jaja, ich weiß schon, es geht (zunächst wohl) nicht um das zum Kaffee gereichte Glas Wasser, sondern um das Glas, die Karaffe Leitungswasser, die angeblich von immer mehr Gästen geordert werde, ohne sonst was in den Augen des Wirts ausreichend Satisfaktionsfähiges zu bestellen. Man stellt Rechnungen auf, für Miete und Mitarbeiter, Geschirr und dessen Reinigung und Pflege. Die Gäste hätten schlicht „das Augenmaß verloren“, wird argumentiert („Die Presse“, 2.4.14).
Oder sind es doch die Wirte?

Und wenn Sie sich jetzt immer noch fragen, was all das mit dem Titel zu tun hat: ich würde ihn hier mit „Gierschlund“ übersetzen.

Und ich werde über kurz oder lang Geschichte No. 2 streichen müssen.


¹ Siehe Fußnote 1 im Blog-Beitrag „Corporate Identity“ vom 11. Jänner [sic!] 2014.

² Auch wenn der teutonische „Duden“ in quasidiktatorischem und normativ-apodiktischem Alleinbestimmungsanspruch (http://www.duden.de/rechtschreibung/Haendchenhalten; 6.4.14) verkündet, das sei ein (großzuschreibendes) Substantiv, beziehe ich trotzig den Standpunkt, es handle sich um ein – kleinzuschreibendes – Verbcompositum.

³ Es wird auf den Blog „Kaff der Guten Hoffnung“ vom 30.März 2014 verwiesen.

Kaff der Guten Hoffnung

Ob – je nach Lesart – Kaffee das nach dem Erdöl zweitwichtigste (legale) Handelsgut der Welt sei, mag zutreffen oder nicht. Dass er für einen Gutteil der Menschen ein wichtiges
Lebens-Mittel, ja geradezu ein unabkömmlicher Betriebsstoff, Anreger, In-Gang-Setzer, der weit über einfachen Genuss hinausgeht, ist, muss als unbestreitbar gelten.

Sonder Zahl, die Geschichten, Anekdoten, Zitate, Kunstwerke literarischer, musikalischer oder bildnerischer Beschaffenheit, die sich um den Kaffee ranken und/ oder in Cafés entstanden. Papst Clemens VIII. höchstselbst, der immer wieder mit der Verteidigung des Christentums vor dem heranrückenden Islam gefordert war, soll gesagt haben: „Dieser
Satanstrank ist so köstlich, dass es eine Schande wäre, ihn den Ungläubigen zu überlassen.“ – Womit aus dem ostafrikanischen Ziegendopingmittel unaufhaltsam ein Weltgetränk wurde und der Kaffee endgültig Legitimation und Verbreitung im Abendland fand. Spätestens seit sich zur Mitte des 17. Jahrhunderts von Venedig ausgehend Kaffee und Kaffeehäuser über ganz Europa ausbreiteten, ist er aus unserer Kultur und Kulturgeschichte nicht mehr wegzudenken. Kaum ein Nahrungs- und Genussmittel hat derart nachhaltig das Leben so vieler Menschen beeinflusst und bestimmt, ist ihnen zur Freude, Genuss, Notwendigkeit, Leidenschaft, Sehnsucht und Sucht geworden, hat sie inspiriert und motiviert.
Von Immanuel Kant, dem großen abendländischen Philosophen der Aufklärung, wird berichtet, er sei ungeduldig geworden, als er einmal einen Kaffee zur unüblichen Zeit verlangte und sein Diener das Wasser nicht schnell genug zum Sieden brachte: „Gott sei’s gedankt, in der nächsten Welt wird es keinen Kaffee geben. Denn es gibt nichts Schlimmeres, als auf Kaffee zu warten, wenn er noch nicht da ist.“ Goethe war mittelbar an der Entdeckung des Coffeins beteiligt, Johann Sebastian Bach widmete ihm seine Kaffee-Kantate („Ei! Wie schmeckt der Coffee süße, lieblicher als tausend Küsse, milder als Muskatenwein“), Beethoven zählte zur Bereitung stets exakt 60 Bohnen ab, die Wiener Kaffeehausliteraten wie Peter Altenberg, Hermann Bahr, Egon Friedell, Hugo von Hofmannsthal, Karl Kraus, Anton Kuh, Robert Musil, Alfred Polgar, Joseph Roth, Arthur Schnitzler, Friedrich Torberg oder Franz Werfel sind ohne ihre symbiotische Lebens-, Wohn-, Schaffens-, Wirkungsstätte kaum denkbar. Der gefeierte österreichische Komponist, Kabarettist und nach eigener Darstellung „Klavierhumorist“ Hermann Leopoldi setzte dem Wiener Kaffeehaus ein berührendes, sentimentales, unvergängliches Denkmal (In einem kleinen Café in Hernals), das er, als ihn seine Schwiegereltern aus dem KZ freigekauft hatten, sogar nach New York mitnahm, und mit dem er in der englischen Übersetzung¹ von Olga Paul im Big Apple reüssierte. Und einigen ist wohl noch Georg Danzers Revoluzzerhymne der 1970er-Jahre auf das legendäre Künstlercafé Hawelka im Ohr (Jö schau)².

Womit wir bei einer weiteren Bedeutung des Kaffees wären: Praktisch zu allen Zeiten gibt es Überlieferungen, wonach die Herrschenden – aus unterschiedlichen Gründen – die Verbreitung, Be- und Verarbeitung, vor allem aber den Genuss von Kaffee, zumal wenn gemeinschaftlich gepflogen, kontrollieren, möglichst gar unterbinden wollten. Es wurden dabei medizinische, soziologische oder steuertechnische Argumente ins Treffen geführt. Am gefährlichsten jedoch schien der Obrigkeit stets das Zusammentreffen der Menschen, die dann in aufgekratzter Stimmung womöglich auf dumme Gedanken kamen. Und es kommt wohl tatsächlich nicht von ungefähr, dass sich die Französischen Revolutionäre, die Wiener Vormärzler oder die Triestiner Irredentisten in Kaffeehäusern trafen, um miteinander zu diskutieren, Pläne zu schmieden, sich gegenseitig an- und aufzustacheln. Kaffee hat immer auch etwas Libertäres, Über-den-Zaun-schauen-und-denken-Lassendes an sich!

Genug gute Gründe also, regelmäßig und ausreichend Kaffee zu trinken. Und ihn auch möglichst vielen andern zuteilwerden zu lassen! Hier sei nun an eine neapolitanische Gepflogenheit erinnert, die dort seit mehr als 100 Jahren mal mehr, mal weniger intensiv geübt wird und sich nun anschickt, die Welt zu erobern. Wer es sich leisten konnte, bezahlte in der Bar nicht nur seinen caffè, sondern noch einen zweiten. „Einen fürs Brett“, weil nämlich der Eingang des Kaffee-Geldes gewissenhaft mittels Kreidestrich auf einer Tafel oder an der Wand vermerkt wurde. Wann immer dann jemand, dem’s nicht so gut ging weil am Ende des Geldes noch viel Monat übrig blieb, in die Bar kam, konnte er so einen „verschobenen Kaffee“ (caffè sospeso) konsumieren. Wie es heißt, gingen die Baristi dabei mit hohem Einfühlungsvermögen vor, fragten ihrerseits die Mittellosen ob sie einen Kaffee wünschten, was diesen signalisierte, es sei einer bezahlt und unter Erhalt ihrer Würde ermöglichte, ihn zu ordern. Wenngleich diese Tradition in Neapel nie völlig ausgestorben war, erfuhr sie durch die jüngste Wirtschaftskrise eine deutliche Wiederbelebung.
Mittlerweile gibt es auf der ganzen Welt ähnliche Bestrebungen und Initiativen. Obwohl sie manchmal ziemlich gestelzt, durchorganisiert, kompliziert und verbeamtet anmuten. Es ist doch ganz einfach: Ein Bäckereifilialist – beispielsweise – bietet diesen verschobenen Kaffee regulär an. Dazu braucht’s keine großen Kassenprogrammänderungen oder Schulungen; ein bissl Vertrauen, eine Schiefertafel und eine Kreide genügen. Noch einfacher: Wenn Sie – ja SIE! – wenn Sie das nächste Mal einen Kaffee bezahlen, bezahlen Sie einen zweiten mit.
Und so wird aus dem italienischen caffè sospeso, dem suspendierten, übriggelassenen, verschobenen – immerhin steckt, auch wenn’s den Etymologen jetzt die Zehennägel aufrollt, im italienischen „sospeso“ irgendwie das lateinische „spes, Hoffnung“ – der Kaffee der Guten Hoffnung!
Lässt sich übrigens auch ganz leicht auf Suppen anwenden …


¹ Musik-Clip deutsch: http://www.youtube.com/watch?v=g_rZhF4JPpQ;
englisch: http://www.oesterreich-am-wort.at/treffer/atom/1105A930-138-09BC9-00000C38-1104A739/.

² Musik-/Video-Clip: http://www.youtube.com/watch?v=AgVVBgTF-eg.

So fein kann Fasten sein!

Im Englischen kommt dem Ausdruck für Frühstück – breakfast eine alte, archaische Bedeutung bei: mit der ersten Mahlzeit am Morgen wird das nächtliche Fasten gebrochen.

Das Gleiche gilt auch im Romanischen, etwa für das französische déjeuner oder das spanische desayunar (frühstücken), die sich von jeûner bzw. ayunar (fasten) und ursprünglich vom lateinischen iēiūnus (leer, nüchtern, mit leerem Magen; trocken, dürr; geringfügig), bzw. ieiunāre (fasten) herleiten. Lediglich die Italiener büxen diesbezüglich mit ihrer
(prima) colazione aus; wohl weil das, was sie – meist unterwegs rasch in einer Bar ein
Cappuccino und ein Keks, allenfalls ein Cornetto – als Frühstück veranstalten, andernorts nicht wirklich als lustvolles, herzhaftes Brechen des Fastens verstanden würde.

Es soll hier allerdings jetzt nicht über die verschiedenen Frühstückstraditionen und
-zutaten schwadroniert werden, sondern über die Köstlichkeiten die das Fasten bieten kann. Wobei nun keineswegs die Säue gemeint sind, die fromme Mönche dereinst
situationselastisch (© österr. Verteidigungsminister Gerald Klug; grinsend) durchs Wasser trieben, auf dass sie fortan als Wassergetier und nicht als Fleisch und somit auch für die strengsten Fastengebote tauglich gälten. Nein, heute geht’s um ein einfaches, frugales, köstliches Backwerk: die Brezen! (Um nun nicht regionale Demarkationslinien, insbesondere zwischen Bayern und Schwaben, zu überschreiten, möge diese neutralstmögliche Bezeichnung auch für Brez’n, Brezel, Bre(ï)zga usw. gelten. Zumal die Bayern ja erst unlängst ihre Herkunftsbezeichnung sogar auf EU-Ebene schützen ließen. Wie wacker.)
Und zwar nicht um irgendwelche: um die Fastenbrezen eben!

Die Tradition runder, gebogener, möglicherweise geschlungener Gebäcke reicht weit in die Antike zurück. Schon der Name geht mit ziemlicher Sicherheit auf das lateinische
brac(c)hium (Arm) – wie etwa auch brachial, Bratsche oder Pratze – zurück: Die verschlungenen Ärmchen der Breze gaben ihr den Namen; über das althochdeutsche precita,
brezila, brezzitel(l)a
und mittelhochdeutsch prēzel, prēzile und brēzel wurde letztlich unsere Brezel. Allerlei Geschichten und Geschichtchen zur Entstehung der Brezen, die bedarfsweise das ganze Mittelalter hinauf- und hinabdatiert werden, gehören in die Kategorie
Storytelling; ganz nach der alten italienischen Lebensweisheit, die von Giordano Bruno¹ überliefert wird: „Se non è vero, e molto ben trovato. (Wenn es schon nicht stimmt, so ist es doch trefflich gut erfunden.)“

Fastenbrezen haben in der Regel keinen Bauch, sind weder eingeschnitten (Baden-Württemberg) noch aufgerissen (Bayern), sind durchgehend hart. Und am wichtigsten: Sie sind nicht in Lauge (ob heiß oder kalt, ist schon wieder eine Glaubensfrage) getaucht, sondern in kochendem Wasser gesotten. Das heißt, die Brezen werden nach dem Schlingen gegärt und dann in möglichst zugiger Umgebung abgesteift, damit sie eine schöne Haut bekommen, und unmittelbar vor dem Einbringen („Einschießen“) in den Ofen in heißes Wasser getaucht.

In einem alten Fachbuch² ist zu lesen:
„Der Ofen muss sehr gut ausgeheizt sein, da die Brezeln bei offenen Dippeln (Dampfabzug, Anm.) gebacken werden. Eine halbe Stunde vor Beginn der Ofenarbeit wird mit der Heizung des Kessels begonnen, so daß das Wasser sich rechtzeitig im siedenden Zustande befindet. Haben die Brezeln beim Einlegen in den Kessel die richtige Garbe, so gehen sie im siedenden Wasser unter, erheben sich aber nach 1 ½ Minuten an die Oberfläche des Wassers. Wie sich dieselben auf der Oberfläche des Wassers befinden, sind sie auch schon genügend gekocht und müssen schleunigst eingeschossen werden.“

Entgegen mancher getellten Story dürften die gesottenen Brezen ein paar Jahrhunderte älter sein als die belaugten. Heute müssen sie wohl als bedrohte Art gelten und werden in Süddeutschland und Österreich samt Südtirol nur noch in bestimmten Regionen, teils zu bestimmten Zeiten (Fastenzeit!) oder Anlässen erzeugt und kommen höchst unterschiedlich daher (z.B. ohne Oberflächenbesalzung, vor oder nach dem Backen gesalzen mit grobem oder feinem Salz oder mit einem „Salzteigl“ bestrichen …). Neben der Fastenzeit, beispielsweise auch für das Schmücken des „Palmbuschs“ zur Palmsonntagsprozession, waren solche weißen Brezen besonders zu den Lebenswenden wie Geburt, Taufe, Hochzeit, Tod wichtiger Teil des Brauchtums. Sie dienten als Patengeschenke (vorwiegend zu Ostern und Allerseelen) ebenso wie als Gabe für die Teilnehmer an der Totenwache, die zum abendlichen Gebet am Sarg ins Trauerhaus kamen. Und, ganz profan, doch über Generationen bewährt: Die harten, bei richtiger Lagerung praktisch unbegrenzt haltbaren, Brezen wurden zahnenden Kindern zum Nagen verabreicht. Eine Reihe von Kochrezepten gibt Aufschluss, wie sie auch weiterverwendet wurden.
Dass sich nicht nur wir an Brezen erfreuen, sie auch als Affenfutter hochgeschätzt sind, weiß die Menschheit spätestens seit Wilhelm Busch: Fipps der Affe.

Sie haben richtig gelesen: fast durchgängig wurde die Mitvergangenheit verwendet. Fast durchgängig sind Fastenbrezen und Brauchtum mittlerweile abhanden gekommen. Wer sich allerdings ein Bild davon machen will, welch gültigen Stellenwerts die Faschdabrezga sich im täglichen Leben, und zwar weniger als brauchtumsschwangeres Traditionsgebäck, denn als genuss- und lebensfreudespendendes geschmackliches Kleinod, heute noch erfreuen, dem sei dringendst und wärmstens eine kulinarisch-fastenzeitliche Wallfahrt ins oberschwäbische Biberach an der Riß empfohlen! Hier ist der Genuss doppelt: Bevor man sich an den Leckerbissen erlaben kann, die die Bäckerei Häring mitten im Ortszentrum offeriert, delektiert man sich an der zig- und manchmal hundertmeterlangen Schlange derer, die warten bis auch sie drankommen. Unablässig bringen die Bäcker frische Brezen ins Geschäft, die Verkäuferinnen befeuchten sie, tauchen sie in feines Salz und packen sie in Sackerl. Kaum ein’s, das weniger als 10 Stück enthielte. Aber es kommt keine Nachkriegs- oder Ostblockstimmung in mangelwirtschaftlicher Beklemmung auf, sondern die ungeteilte Vorfreude der Geduldigen, bis auch ihnen die Köstlichkeit zuteil wird. Man stellt sich vor, wie sie dann leichtfüßig davoneilen zu ihren Familien, in die Büros und Arbeitsstätten.
So schön kann Bäcker sein!

Zu guter Letzt: In manchen, vorwiegend inneralpinen, Gegenden heißen die Fastenbrezen auch Beugel. Und sie werden manchmal einfach in Ringform (wie in urtümlichen Zeiten) hergestellt. Womit sich ein Kreis schließt: Es waren wohl aschkenasische Wiener Juden, die vor mehr als 100 Jahren die Tradition der Beugel, Beigel(e) nach Amerika, vornehmlich New York brachten. Und daraus wurden schließlich die Bagels, denen man nachsagt, sie seien die schnellstwachsende Gebäcksorte Amerikas, und die sich längst zur Rückeroberung Europas angeschickt haben. Fürs Protokoll: auch sie werden im heißen Wasser gesotten, ehe sie gebacken werden! Und auch die auf dem ganzen Balkan verbreiteten Sesamkringel wie etwa die türkischen Simit werden klassischerweise vor dem Backen in kochendes Wasser getaucht.
Wie himmlisch, wenn die drei abrahamitischen Weltreligionen auch in kleinen alltäglichen Dingen wie unscheinbaren Gebäcken so große Übereinstimmungen haben!


¹ Italienischer Priester und Ordensmann, Philosoph, Dichter und Astronom, der 1600 der von seinen damals ziemlich blutrünstigen Dominikanischen Mitbrüdern (der Volksmund übersetzte Dominikaner als domini canes: Hunde des Herrn) besonders eifrig betriebenen Inquisition zum Opfer fiel und auf dem römischen Campo de’ Fiori wegen Ketzerei und Magie auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. 2000 wurde Giordanos Hinrichtung von Papst Johannes Paul II. für Unrecht erklärt, seine Lehre aber nicht vollständig rehabilitiert.
Quelle: Bruno, Giordano, Von den heroischen Leidenschaften, übers. und hgg. von
Christiane Bacmeister, Hamburg, 1989, II / 3, S. 176: „Wenn es nicht wahr ist, ist es gut erfunden.“

² Körber, Johann / Tscheinig, Matthias, Die Wiener und österreichische Bäckerei, 3. Aufl., Wien, 1933, S. 90.

Ich bin kein Hase!

Das erstaunt den unbedarften Surfer schon sehr, wenn er sich die Mühe macht, netzweise zu erforschen, wie man Hasen oder Kaninchen richtig ernährt: Von der artgerechten Ernährungspyramide, wie man sie von allerlei Organisationen wie der Deutschen oder Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung oder dem österreichischen Gesundheitsministerium bislang nur für humanoide Wesen kannte, begonnen, bis zu seitenlangen, reich bebilderten Abhandlungen bezüglich einzelner möglicher Futtergaben. Da erfährt man unter Verweis auf Verdauungs- und Immunsystem und besonderer Berücksichtigung der „Aufgasungsneigung“ beispielsweise, dass Mangold nur ein- bis zweimal pro Woche zu verfüttern sei, Lollo Bionda oder Lollo Rosso jedoch „nach langsamer Anfütterung gern auch täglich“.

Soviel Fürsorge und Umsicht würde ich mir als menschlicher Konsument an den diversen Snacktheken der Bäckereien wünschen! Es gibt wohl kein belegtes Brötchen, kein Sandwich, kein gefülltes Weckerl, keinen Snack mehr, in dem nicht ein totgewelktes, einsam-verschrumpeltes, eiskaltes Salatblatt mir die Augen beleidigt, die Zähne verschlägt, den Magen umdreht. Da helfen weder Sonnenbrillen noch besonders „sensitive“ Zahnpasten. Wie komme ich dazu, dauernd fraglos mit so im besten Fall nichtschmeckendem Grünzeug behelligt zu werden?

Ich habe ja die starke Vermutung, es war ein in den 1980er-Jahren irrlichternder „Snackberater“, wie sie auch heute noch allerorten herumturnen, der auf irgendeiner Weiterbildungsveranstaltung postulierte, das müsse sein, weil das sei eine untrügliche Botschaft für Frische, und die Farbe mache erst den Tupfen aufs i. Und dies hat sich seither seuchenartig ausgebreitet, ganz im Stile anderer urban legends wie weiland das ominöse Krokodil in den Abwasserkanälen New Yorks.

Ich bin schon seit Längerem dazu übergegangen, an den Snacktheken explizit zu verlangen, das Blattwerk zu entfernen, mittlerweile standardmäßig mit der Bemerkung: „Ich bin kein Hase!“ Was ja meist letal endet (siehe: Der Hase im Kohl). Und übrigens auch keine Kuh, die anatomisch dafür besser gerüstet ist; wäre aber auch seltsam, wenn es nun in den „RailJets“ oder „ICEs“ zusätzlich zu den handyfreien Zonen ausgewiesene Wiederkäuerbereiche samt Methangasabzugshauben gäbe.
Erntete ich dafür anfangs oft noch blankes Unverständnis oder gar den skeptisch-höhnischen Blick, der signalisierte, die Verkäuferin würde, sobald ich außer Seh- und Hörweite war, aufgeregt ihrer Kollegin von dem Querulanten oder Spinner berichten, bekomme ich heute immer öfter zu hören: „Sie sind nicht der Einzige!“ Und unlängst am Wiener Westbahnhof: „Ja, da haben Sie recht; ich selber tu’s mir auch immer raus.“ – Vielleicht sollte ich dazu übergehen, künftig über einen Preisnachlass für das ersparte Salatblatt zu verhandeln. Rechnen Sie doch: Hier geht es keineswegs nur um den Materialwert. Viel stärker fallen die Manipulationskosten vom Einlagern und Kühlhalten übers Zerteilen und – hoffentlich! – sorgsame Waschen bis zum Belegen ins Gewicht; da sollten, in Relation zum restlichen Belag, schon 15 bis 20 Prozent drin sein. – Ich fordere Blatt-Rabatt!

Wenn man kritisiert, dann bitte gefälligst auch positiv (konstruktiv ist es ja immer ;-).
Voilà! Man kennt die Kette „Le Crobag“ seit den 1990er-Jahren von deutschen Bahnhöfen und hat irgendwie auf heißen Platten warmgehaltene Croissants, bei denen schon das Tourierfett heraustroff, die man dann in schnell durchgefetteten Tüten verabreicht bekam, im Hinterkopf. Daher wohl auch der nicht wirklich gelungene Name, der französisierend nicht auf eine Chimäre aus Krokodil¹ und Bagger hinweisen soll, sondern wohl auf die Hauptprodukte Croissants und Baguettes.
Ganz anders heute: Die Stände wirken hell, freundlich, sauber; ebenso wie das Personal. Und erst die Produkte. Da gibt es etwa Ficelles (wörtlich: „Faden“, etwas dünner als Baguettes), die schon pur hervorragend schmecken. Wie die Verkäuferin am Innsbrucker Bahnhof fast andächtig und voll Inbrunst hervorsprudelt, kommen die Teiglinge aus Frankreich (äh, schon wieder nicht China, aber wäre auch verwunderlich wenn der Eigentümer von „Le Crobag“ ein bekanntes Elsässer Bäckerei-Familienunternehmen ist), werden vor Ort gegärt und dann erst gebacken. Nota bene: Dies ist so ziemlich das Schwierigste, was man am Point of Sale tun kann: nicht Halbback mit der anspruchsvollen Gärphase bei den Fachleuten in der Backstube und dann scheinbar narrensicher – trotzdem immer wieder misslingend – nur noch programmgesteuert aufbacken, sondern wirklich teigig. Über zwei Stunden dauere die Auftau- und Gärphase berichtet die Verkäuferin. Dann werde das Gebäck verkauft oder belegt. Nach drei Stunden wird es aus dem Verkauf genommen. Das sieht man, riecht man, schmeckt man, genießt man! Sind die Baguettes heute immer öfter zu besenstilartigen Gummiknüppeln degeneriert, stechen einem die Ficelles bei Le Crobag sofort ins Auge, hüpfen geradezu in den Mund. Und erst als Snack: Etwa Ficelle mit Serranoschinken: nur Brot, Butter, bester Schinken. Einfach, geradlinig, ehrlich, gut. Verdammt gut! Zum vergleichsweise günstigen Preis. Und ohne Salat, oder „Schnick-Schnack … mit Suchtfaktor“, wie es berechtigt auf der Homepage (http://www.lecrobag.de/unternehmen/geschichte.html) des Unternehmens heißt.

Als ich der Verkäuferin sage, wie sehr ich mich immer wieder darauf freue, meint sie lachend: „Bleiben Sie noch eine halbe Stunde, dann kommt die Inspektion, die finden eh immer was, sagen Sie es denen bitte.“ Doch man merkt, sie freut sich mehr darauf als dass sie sich fürchtet. Und auf dem Sackerl („Tüte“) stehen Name und direkte Telefonnummer der Geschäftsführerin: „… – wenn wir Sie begeistern können, erst dann sind wir wirklich zufrieden. Sollten sie aber dennoch einmal mit dem Service oder der Qualität unserer Produkte nicht zufrieden sein, rufen Sie mich bitte an …“

Wann darf ich endlich wieder verreisen?


¹ Hat auch nichts mit der seit einem guten Jahr gehypten und mittlerweile oft kopierten Verschmelzung von Croissant und Doughnut „Cronut“ der New Yorker Ansel Bakery zu tun. http://dominiqueansel.com/cronut-101/.

Verkehrte Welt

Aus meiner tiefsten Seele zieht
mit Nasenflügelbeben
ein ungeheurer Appetit
nach Frühstück und nach Leben.

So steht’s im neuen modernen Salzburger Ketten-Hotel in dem Bereich, den man zumindest morgens als „Frühstücksraum“ bezeichnen würde, hübsch an die Wand gepinselt.

Und er hat schon ganz tief und gezielt in den Solarplexus getroffen, der alte Ringelnatz (Morgenwonne): Mit wenigen eindrücklichen Worten beschreibt er die Lust auf den neuen Tag, auf das Sich-Einlassen auf das Neue, Unbekannte, Unbeschriebene, Chancenbietende. Und dass zum guten Start in einen Tag auch ein gutes Frühstück unabdingbar ist, lehren uns nicht nur die Ökotrophologen, sondern das pure Leben, auf das es sich immer wieder lohnt, Lust zu haben.

Wenn es Jahre mit 100 und mehr Hotelübernachtungen gab, ist man einiges gewohnt. Auch beim Frühstück. – In Summe wohl mehr Last als Lust. Umso erfreuter, wenn eigentlich alles passt: Zum Sensationspreis von sieben Euro fünfzig ein Angebot, für das man in manch noblem Tempel gut und gern 30 Euro löhnen müsste. Wirklich frische Früchte, im Ganzen und fein säuberlich aufgeschnitten, diverse Joghurts, Frühstücksflocken, Tomaten, Gurken, Paprika, Käse, Schinken, Würste, Aufstriche, Butter und Margarinen, Marmeladen und Honig, Säfte, Kaffee diversester Art, Tee, Kakao … Der Clou: Die Aufschnitte sind auf schmalen Tassen einreihig angerichtet; unermüdlich trägt die Servicedame neue Platten herbei, sortiert und arrangiert, hat immer auch das Wischtuch zur Hand. – Zu keiner Zeit scheint das Buffet abgefressen, gar schmuddelig. Es wirkt aufmerksam, sorgfältig, nachgerade liebevoll, wie sich die junge Frau gewissenhaft kümmert. Eine appetitliche Freude! Geht doch ganz einfach.

Und auch die Backwaren: Oben ein paar verpackte Vollkorn- und Knäckebrote, Zwieback; unten akribisch und sorgsam, „Gesicht“ nach vorne, ins Körberl geschlichtet viererlei Sorten Kleingebäck, Semmeln, Kornspitz, eine Art Wachauer- oder Schusterlaberln, Ciabattine; daneben säuberlich auf ein Tablett gestapelt Croissants. Alles frisch aufgebacken. Mit Nasenflügelbeben und hüpfendem Herzen greift man also zum Mini-Ciabatta: endlich, endlich einmal ordentliches Gebäck! Alles lässt darauf schließen: Der Krustenriss lacht einen geradewegs an, zeugt von Leben im Gebäck, die Oberfläche hat die typischen kleinen Risse, der Fachmann spricht vom „Fensterln“, die sicher auf eine gute, gesunde Teigentwicklung schließen lassen. Das Gebäck in optimalem Reifezustand gebacken, nicht zu kurz und nicht zu lang gegärt; keine Setzfalten. Die Krume gerade recht zwischen sortentypisch unregelmäßiger Porung und guter Bestreichbarkeit. Das Nasenflügelbeben setzt sich fort bis in die Fingerspitzen, das Wasser läuft im Mund zusammen. Und irgendwann friert der gierig-lustvolle Griff ins Körbchen ein: das Gebäck ist fast weiß, wohl gerade halbgebacken, die Kruste mehr gummiartig als rösch. O.k., man kann es essen. – Im Gegensatz zu den Croissants, die zwar von schöner Backfarbe, aber innen komplett speckig sind. Davon kriegt man wirklich Magenweh!

Und nun: Was soll der böse Blogger tun? Fein, freundlich, friedlich – feig? – bleiben, sich und andern die Lust auf Leben nicht wegen eines leichenblassen Ciabattas, eines ungenießbaren Croissants vermiesen? Und außerdem: Einmal is(s)t keinmal! Vielleicht war heute ja einfach zu viel zu tun – Hotel und Frühstückszone sind tatsächlich voll. Und die Dame macht ja wirklich einen tollen Job.

Tag zwei, alles gleich: freundliche, umsichtige Frühstücksfrau, Säfte und Würste und Halbbackbrötchen. Heute will man nicht mehr schweigen und versucht es nach der guten alten Sandwichmethode, dickes Lob, ein kleines Bisschen Kritik und wieder Lob: „Ich beobachte Sie schon den zweiten Tag. Es ist einfach unglaublich, wie umsichtig Sie das Buffet in Schuss haben, es hegen und pflegen …“ Die großgewaschene Frau wächst um zusätzliche zwei Zentimeter, entpuppt sich als Serviceleiterin; bereitwillig und berechtigterweise stolz erzählt sie, wie sehr man sich bemüht habe, damit es so gelinge. Man erfährt, dass die halbgebackenen Tiefkühlbrötchen von einem diesbezüglich höchst kompetenten Unternehmen aus Osnabrück (wie blöd, gar keine Dolchstoßlegende: gar nicht aus China!) stammen, und man selbstverständlich über moderne elektronisch gesteuerte Aufbacköfen mit entsprechenden Programmiermöglichkeiten verfüge. Ganz vorsichtig: „Die Brötchen, insbesondere die Ciabatte, könnten noch ein bisschen besser aufgebacken werden.“ Das Lob stärkt auch das Selbstbewusstsein, und o weh, flugs wird man mit dem scheint’s unwiderlegbaren Totschlagargument in kollektive Geiselhaft genommen: „Die Leute wollen das so!“ Noch ehe man zaghaft einwenden könnte, dass man sich selbst auch zu „den Leuten“ zähle und das überhaupt nicht so wolle, der ultimative, stummmachende Hammer: „Und ich auch!“

Jetzt grüble ich schon ziemlich ergebnislos die zweite Woche darüber, ob ich die normierte, egalisierte, systematisierte, homogenisierte, mcdonaldisierte Gleichwelt bevorzuge oder doch lieber praktisch ungebackenes, dafür individuelles Frühstücksgebäck in Kauf nehme, das von den persönlichen Präferenzen, Befindlichkeiten und dem täglichen Gemütszustand der Frühstücksfrau abhängt. (Vielleicht könnte Herr Aloys, wenn er milde und zufrieden aus dem Himmel auf sein überaus gelungenes Lebenswerk blickt, ja doch einmal einen Engel zur Nachschulung schicken?)

Ach ja: Die fünfminütlich frisch aufgefüllten Frühstückseier waren samt und sonders so hart gekocht, dass der Dotter bereits hellgelb und bröselig war. Aber vielleicht mag die kapriziöse Dame einfach keine Weicheier.